Schritt-Tempo – Fahren ohne Geschwindigkeit?
Auch wenn eine Straße den Eindruck macht, man könne darauf schnell fahren – die aufgestellten Verkehrszeichen bestimmen über die zulässige Höchstgeschwindigkeit und sind zu beachten. Das gilt auch bei einer so vagen Geschwindigkeitsangabe wie „Schrittgeschwindigkeit“. Immerhin dürfen sich in einem verkehrsberuhigten Bereich per Definition überall Menschen aufhalten. „Wer zu Fuß geht, darf die Straße in ihrer ganzen Breite benutzen; Kinderspiele sind überall erlaubt“ (Anlage zur StVO, Richtzeichen, Abschnitt 4, Verkehrsberuhigter Bereich).
Auch deshalb ließ das Oberlandesgericht (OLG) Naumburg im beschriebenen Fall die vom Amtsgericht Weißenfels angesetzte Schrittgeschwindigkeit von 15 km/h nicht gelten. Der Begriff „Schrittgeschwindigkeit“ könne nicht je nach den örtlichen Gegebenheiten unterschiedliche Bedeutung haben, sonst hätte der Gesetzgeber nicht diesen Begriff gewählt, sondern etwa die „den Umständen entsprechend ungefährliche Geschwindigkeit“ angeordnet.
Die Einwände, dass etwa Radfahrende bei Fußgängergeschwindigkeit unsicher würden und zu schwanken beginnen oder weniger als 10 km/h mittels Tacho nicht zuverlässig messbar wären, ließ das Gericht nicht gelten. Stattdessen entschied der Senat im Einklang mit einem Beschluss des OLG Hamm, dass das höchste als Schrittgeschwindigkeit bezeichnete Tempo von 10 km/h gerade noch als solche angesehen werden kann. Wer sich schneller fortbewege, gehe nicht, sondern laufe. Mit dem vom Amtsgericht Weißenfels zugrunde gelegten Tempo von 15 km/h wäre etwa ein Teilnehmer des Berlin Marathon 2016 mit einer Zeit von ca. 2 Stunden und 50 Minuten unter den besten 4 % der 35.999 Läufer, die das Ziel erreicht haben, gelandet. Eine solche Geschwindigkeit lasse sich nicht mehr als Schrittgeschwindigkeit definieren.
Fazit: Bis 10 km/h kann als Schrittgeschwindigkeit gelten, das lässt sich laut Gericht auch am Auto-Tacho feststellen und mit dem Fahrzeug einhalten, und Radfahrer, die bei einer Geschwindigkeit von 10 km/h unsicher werden und zu schwanken beginnen, seien offenbar volltrunken und müssen ihr Fahrrad deshalb schieben, so die Begründung des Oberlandesgerichts des Landes Sachsen-Anhalt Senat für Bußgeldsachen. [Das gilt übrigens auch für das Passieren von Bussen mit eingeschalteter Warnblinkanlage an Haltestellen!]
Für den betroffenen Fahrer bedeutet das unterm Strich: statt 1 Punkt und 100 € nun ein Regelbußgeld von 160 Euro, 2 Punkte im Fahreignungsregister (FAER) und 1 Monat Fahrverbot wegen Geschwindigkeitsübertretung von 32 km/h.
DiH (Redaktion)