Isolde Lang

Isolde Lang, seit 1986 Fahrlehrerin. Zertifizierter Fahrschüler-Coach, Trainerin und Dozentin für allgemeine psychologisch/pädagogische Themen in der Fahrlehreraus- und Fahrlehrerweiterbildung. Beschäftigt sich u. a. mit Stressprävention, ist Entspannungspädagogin und zertifizierter Coach (DVNLP), DEGENER-Fachautorin der Werke „Wie ticken wir Menschen?“ und „Lehren will gelernt sein“.

Wenn unvorhergesehene Umstände das wohl durchdachte und geplante (Arbeits-)Leben durcheinanderbringen, gerät man häufig in eine Krise. Dabei löst das Gefühl, keinerlei Einfluss und Kontrolle auf die Situation zu haben, starken Stress aus. Krisen bringen Menschen aus dem Gleichgewicht. Jede Krise ist anders und wird anders erlebt. Forscher haben jedoch herausgefunden, dass fast immer vier Phasen durchlaufen werden. Die Phasen sind nicht immer klar voneinander zu trennen. Sie können sich überlappen und wiederholen.

Wie Menschen auf so eine ungewollte Situation reagieren und wie lange die Krisen-Bewältigung dauert, ist individuell sehr verschieden. Die Dauer ist abhängig von der Schwere der Krise, der Resilienz, also der Widerstandskraft jedes einzelnen, aber auch von dem Temperament. Die Temperamentenlehre, auch Farbenlehre genannt, gibt vier Grundtemperamente vor. Jeder Mensch kann einem oder auch zwei Grundtemperamenten grob zugeordnet werden. Menschen mit einer gleichen Zuordnung (Farbe) haben ähnliche Prioritäten und verhalten sich deshalb auch ähnlich. Das Verhalten kann quasi vorausgeahnt werden. Dies erleichtert den Umgang mit anderen Menschen und fördert das gegenseitige Verständnis. Sogar die eigenen „Macken“ kann man in einem positiven Licht sehen. Die folgende Zuordnung sollte mit einem Augenzwinkern gesehen werden. Vielleicht erkennen Sie sich ja in der einen oder anderen Farbe.

Hier eine kurze Übersicht über die vier Farben und deren Eigenschaften.

Der ROTE – Der Energische.

Er geht mit voller Energie ans Ziel, trifft blitzschnell Entscheidungen und ist sehr durchsetzungsstark und dominant. Andere Regeln zu akzeptieren fällt ihm schwer.

Der GELBE – Der Optimist.

Mit voller Energie springt er mitten ins Leben. Fröhlichkeit und Leichtigkeit zeichnen ihn aus. Unter Stress wird er sehr hektisch und kopflos. Keiner sonst kann ein so großes Repertoire an Gefühlen theatralisch einsetzen. Er ist ein Meister der Übertreibung.

Der GRÜNE – Der Beständige.

Er geht mit Harmonie und Mitgefühl durchs Leben, am liebsten so wie immer. Für ihn sind seine Lieben das Wichtigste im Leben. Mit Veränderungen kommt er nicht gut zurecht.

Der BLAUE – Der Gewissenhafte.

Der Denker und Analyst plant äußerst genau und präzise. Jedes mögliche Problem wird im Vorfeld gedanklich gelöst, denn er geht auf Nummer sicher. Das kostet Zeit und bindet Energie.

Die vier Phasen einer Krise*

1. Schock und Nicht-Wahrhaben-Wollen. Man ist gelähmt, fassungslos und geschockt.

2. Reaktion, meist unüberlegt. Hier herrschen Chaos, Angst und Verdrängung. Ablenkung durch Beschäftigungen, die nichts mit der Krisenlösung zu tun haben.

3. Bearbeitung der Krise. Die Situation wird akzeptiert. Die Phase der Lösungssuche beginnt.

4. Neuorientierung und Fazit. Häufig entstehen in dieser Phase neue Verhaltensweisen und Werte für die Zukunft. Eine neue Einstellung zu sich, der Umwelt und dem Beruf wird angestoßen.

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Schock-Phase:

Wenn der Rote Stress hat, brüllt er wie ein Löwe, der Eindringlinge in seinem Revier vermutet. Seine Aufregung ist groß, denn man behindert ihn in seiner Freiheit. Er sucht einen Haken in der Sinnhaftigkeit der Corona-Beschränkungen. Hat er den vermeintlichen Fehler gefunden, lässt er dies andere wissen und verkündet seine Meinung darüber sehr lautstark. Natürlich vergisst er auch nicht zu erklären, wer seiner Meinung nach die Verantwortung für diese Krise trägt und dass er die Lösung weiß und immer gewusst hat.

Wer glaubt, dass der Gelbe erstarrt, der irrt gewaltig. Er ergreift vielmehr die von ihm sehr geschätzte Hühnerhof-Taktik. Dabei rennt er ziel- und sinnlos herum, verbreitet massive Unruhe, am meisten für sich selbst. Er dreht sich im Kreis und äußert immer wieder Aussagen wie „Oh Gott oh Gott!“ oder „Du meine Güte!“ Dabei übertreibt er maßlos und denkt, dass er NIE mehr seine Freunde treffen kann und Spaß am Leben haben wird. Diese Art mit der Krise umzugehen ist wunderbar geeignet, sich selbst aller Lebensfreude zu berauben und Chaos unter seinen Mitmenschen zu verbreiten. Allerdings tut der Gelbe dies in seiner liebenswürdigen Art.

Der Grüne erstarrt bis zur Bewegungslosigkeit, ist fassungslos und verstummt. Äußerlich sieht man ihm nichts an, doch innerlich ist er stocksteif. Gefühle von Angst und Hilflosigkeit übermannen ihn. Dabei ist seine größte Sorge nicht auf sich selbst gerichtet. Die Trennung von seinen Liebsten, seinen erwachsenen Kindern, den Enkelkindern oder den Eltern macht ihm zu schaffen. Dabei hilft ihm, dass er zum Wohle der anderen vieles klaglos ertragen kann.

In seiner vorausschauenden Art hat der Blaue den Lockdown als notwendige Konsequenz des aktuellen Geschehens schon lange vorausgesehen. Daher fällt die „Schockphase“ für ihn im Gegensatz zu den anderen Farben äußerlich kaum erkennbar aus. Der geübte Beobachter erkennt lediglich ein kurzes Luftanhalten, einhergehend mit einem leichten Stirnrunzeln. Um dieses Phänomen zu erkennen, muss man den Blauen allerdings sehr gut kennen.

Reaktions-Phase (hat noch nichts mit Lösungsfindung zu tun – dient der Ablenkung):

Bereits in der Reaktionsphase zeigt der Rote, dass Begriffe wie Müßiggang oder Kurzarbeit nicht in sein Leben passen. Zügig renoviert er seine Fahrschulräume. Er nutzt die Zeit seine Strategien und Ziele zu überprüfen und zu optimieren. In dieser Phase ist er voller Geschäftigkeit und mitten in der Umsetzung schon länger notwendiger Änderungen. Lediglich seinem bisherigen Zeitmangel ist es geschuldet, dass diese nicht bereits erledigt sind.

Die Maßnahmen der Regierung sieht der Gelbe nicht ein, denn ER hat ja nichts gemacht und ER schadet ja keinem, wenn er Spaß hat. Seine Emotionen reichen von „NIE mehr wird es wie früher“ bis zu „völlig cool“ und ruhig. Seine Ablenkungs-Strategie ist es, sich selbst etwas Gutes zu tun. Er nutzt die neu gewonnene Zeit für sich und setzt Frustration in Bewegung um. Er wandert, radelt oder geht joggen. Die schon längst überfällige Fahrschul-Renovierung wird er garantiert nicht gerade JETZT machen. Er ist trotzig und lässt sich von diesem Virus nicht abhalten zu leben. Jetzt muss er hinaus an die frische Luft und sich überzeugen, dass er noch Leben spüren kann.

Der Grüne telefoniert mehrmals täglich mit seinen Lieben. So erfüllt er sein Grundbedürfnis nach Zugehörigkeit, ohne Gefahr zu laufen, jemand anderen anzustecken. Das Telefonat ist natürlich nur ein unzureichender Ersatz für reale Begegnungen. Daher konzentriert er seine Energie auf die Dinge, die gemacht werden müssen, um anderen Menschen in seiner Umgebung zu helfen.

Beim Blauen kommt es häufig vor, dass er die ersten beiden, eher emotional geprägten Phasen gar nicht spürbar durchlebt. Emotionen sind nicht sein Metier und umgehen kann er damit auch nicht besonders gut. Außerdem sind sie nicht zielführend. Er beginnt zügig, sich mit den anstehenden Aufgaben zu beschäftigen. Zunächst berechnet er den möglichen Schaden und den notwendigen Finanzbedarf. Die behördlichen Maßnahmen werden dabei nicht hinterfragt. Der Mensch braucht Regeln und Gesetze. Daran hält man sich! Bereits am zweiten Tag beginnt er mit der Renovierung seiner Fahrschulräume. Die notwendigen Materialien hat er bereits in weiser Voraussicht vor dem Lockdown eingekauft. Die übrige Zeit kann wunderbar zu einer außerplanmäßigen Wartung und Pflege des Fuhrparks genutzt werden. In der Zwischenzeit sind sicherlich die Rahmenbedingungen der zur Verfügung gestellten Finanzhilfen von staatlicher Seite formuliert worden, so dass es mit deren Beantragung im Arbeitsalltag des Blauen weitergehen kann.

Krisen-Bearbeitungs-Phase (Beginn der Lösungsfindung):

In dieser Phase kommen die Stärken des Roten voll zur Geltung. Jetzt ist er in seinem Element. Einzig, dass er nicht sofort alles umsetzen und „loslegen“ kann, regt ihn auf. Alles ist bereit – neue Ziele, neue Strategien und neue Ideen. Er wartet auf den Startschuss. Untätigkeit und Abwarten sind für ihn inakzeptabel. Deshalb hat er zusätzlich noch andere Tätigkeiten in anderen Bereichen gesucht und erledigt. Seine Devise ist „Selbst ist der Rote!“

Dem Gelben fällt auf, dass es in seinen Überlegungen mehr um Leben spüren und Lebensfreude als um Fahrschule und Fahrschüler geht. Wovon soll er denn leben? Er erkennt durchaus die Notwendigkeit zu arbeiten. Ein bisschen erwachsen werden schadet nicht. Durch Gespräche mit einem Blauen hat er jetzt auch einen klitzekleinen Plan, wie es weiter geht, also mit seiner Fahrschule. Welche finanziellen Hilfen gibt es und wo muss man sie beantragen? Er hasst den langweiligen Schreibkram. Seit längerer Zeit hat er nicht auf den Kontostand geschaut, denn das beunruhigt ihn nur. Er denkt, dass er sowieso momentan nichts am Kontostand ändern kann. Diese finanziellen Sorgen rückt er in den Hintergrund, denn er ist jetzt gut erholt und liebt die neue Lebensqualität. Er hat viel Zeit an der frischen Luft und beim Sport verbracht und dadurch sein Immunsystem gestärkt. So ist er gut vorbereitet für den Zeitpunkt, wenn es wieder losgeht. Irgendwann.

Die zwangsstillgelegte Zeit nutzt der Grüne, um anderen etwas Gutes zu tun. Er kauft für ältere Menschen ein und telefoniert mit vielen vermeintlich einsamen Menschen. In dieser Phase ist der Grüne glücklich und unterstützt sehr gerne. Er bringt Wärme und Menschlichkeit in die Corona-Zeit. Das Berufliche kann er später regeln. Für ihn ist das momentan nicht wichtig. Er lebt nach der Devise „Menschen vor Arbeit“. Dieser Grundsatz ist ihm jetzt bewusster als jemals zuvor. Zusätzlich bringt er sich gemeinnützig mit ein. Daraus schöpft er Stärke, neue Hoffnung und Zufriedenheit.

Der Blaue ist in dieser Phase in seinem Element. Jetzt geht es um Logik, Struktur und Voraussicht. Pro und Kontra-Listen, sowie To-do-Listen hat er schon längst erstellt und meist schon abgearbeitet. Als einer der ersten hat er auch die finanziellen Hilfen beantragt. Er hat an alles gedacht, von der Stundung der Leasingraten, Krankenkassenbeiträgen und Versicherungsbeiträgen bis zur Reduzierung der Vorauszahlung beim Finanzamt. Jetzt muss er einfach nur Warten bis es weitergeht. Und Abwarten kann er gut, denn er ist der Meister darin. Die Zeit nutzt er, um die Prozesse in seiner Fahrschule zu überdenken und zu optimieren. Er gilt als Anlaufstelle für viele Kollegen, vor allem für die Gelben. Mit viel Geduld steht er ihnen mit Rat und Tat zur Seite und unterstützt diese in der Beantragung der Fördermittel und dergleichen. Für ihn ist es absolut unverständlich, wieso solche „Durcheinander-Gelben“ immer bis zur letzten Sekunde warten, wenn es um Anträge und dergleichen geht.

Neuorientierung und Fazit für die Zukunft:

Die Corona-Zwangspause hat dem Roten Workaholic gutgetan, auch wenn er das niemals zugeben wird. Nicht mehr von einem Termin zum nächsten hetzen zu müssen, keine dringenden Verpflichtungen oder keine Kurzreisen – das war vor Corona für ihn unvorstellbar. Bestenfalls hat er erkannt, dass menschliche Begegnungen und seine Familie auch Energie-Quellen sein können und dass er sich für seine Gesundheit etwas gönnen soll. Für ihn hat sich die Corona-Krise „gelohnt“, wenn er in Zukunft seinen Arbeitsstress eindämmt.

In der letzten Phase hat der Gelbe erkannt, dass immer nur freie Zeit haben auch langweilig sein kann. Irgendwie hat ihm etwas gefehlt. Es sind die Menschen. Seine Fahrschüler in ihrer Unterschiedlichkeit, die Abwechslung, die Herausforderungen und die Situationskomik. Er merkt, wie gerne er den Beruf des Fahrlehrers ausübt, welches die positiven Seiten in diesem Beruf sind und dass er auch mit seinen Kunden Lachen und Leichtigkeit und Freude versprühen kann. Ja, die Fahrlehrerwelt braucht den Optimismus und die Leichtigkeit des Gelben. Ihn hat Corona noch lebenslustiger und auch lebenshungriger werden lassen, aber auch ein bisschen erwach-sener. Bewundert er doch sehr den Blauen mit seiner unglaublichen Ruhe. Sollte er auch ein bisschen wie der Blaue werden? Nur kurzfristig dauert diese Überlegung und schon hüpft er wieder sorglos in der Gegend herum.

Für den Grünen hat sich nicht viel geändert. Er wusste vor Corona bereits, dass seine Lieben das Wichtigste in seinem Leben sind. Er ist sehr glücklich, denn er konnte in der Corona-Zeit die Zusammengehörigkeit sehr gut spüren und genießen. Das macht ihn auch ein bisschen stark. Stark, um in Zukunft öfter mal NEIN sagen zu können. Zugunsten seiner Familie wird er sich weniger Arbeit aufdrängen lassen. Hoffentlich!

Der Blaue kommt sehr schnell zu einem positiven Fazit. Er erkennt, dass er durch seine Art sehr gut gerüstet ist für alle Krisen wirtschaftlicher Natur. Allerdings muss er feststellen, dass er im Bereich „soziale Kontakte“ durchaus Bedarf zur Nachsteuerung hat. Also beginnt er mit der Planung, wie er dies in der Zukunft verbessern kann. Dies geschieht natürlich auf Grundlage von Pro und Kontra-Listen und weiterer Ausarbeitungen.

Jede Krise im Leben eines Menschen bedeutet für ihn sicherlich ein einschneidendes Erlebnis. Unabhängig davon welchem Temperament der Mensch zugeordnet werden kann, der Umgang mit der Krise stellt sich bei den verschiedenen Temperamenten deutlich unterschiedlich dar. Dennoch haben alle Temperamente die Möglichkeit aus solchen Krisen Stärke zu erfahren und an ihnen zu wachsen. Erkennt man diese Chance, verlieren diese deutlich ihren Schrecken und lassen uns optimistisch in die Zukunft blicken.

Isolde Lang

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